Kapitel 5 Der unerwartete Anruf
„Weil wir uns lieben, lassen wir uns nicht so schnell aus der Ruhe bringen …“ Michelle war schon fast eingeschlafen, als ihr Telefon klingelte. Verschlafen griff sie zum Nachttisch und tastete nach ihrem Telefon. Es war ein Anruf von einer unbekannten Nummer, obwohl die Vorwahl dieselbe war wie ihre. Nach kurzem Zögern nahm sie schließlich den Anruf entgegen.
"Hallo, wer ist da?"
„Michelle, ich bin’s.“ Die vertraute, sanfte Stimme am anderen Ende fühlte sich an, als hätte sie einen Blitz in den Kopf geschlagen. Sie hielt das Telefon einfach an ihr Ohr und war völlig sprachlos. Ihr Mund stand offen.
Er war es, der Mann, den sie einst liebte und der ihr das Herz brach. Er war der Mann, von dem sie als Kind geträumt hatte. Sie dachte einst, es sei nur ein Traum gewesen und wollte nicht aufwachen. Erst in dieser kalten, regnerischen Nacht traf sie die Realität wie ein Schlag ins Gesicht. In dieser Nacht stieß er sie heftig von sich und als sie sah, wie er sie mit einem kalten, apathischen Gesichtsausdruck anstarrte, wurde ihr schließlich klar, dass sie aus ihrem Traum aufwachen musste. „Michelle, bist du da?
Michelle?“, fragte der Mann am anderen Ende der Leitung besorgt.
Die Stimme des Mannes riss Michelle aus ihrer Benommenheit und sie legte sofort auf. Sie konnte nicht so tun, als sei nichts passiert. Es war ihr wirklich unmöglich, ihn wie einen gewöhnlichen Freund zu behandeln und ein normales Gespräch mit ihm zu führen. Sie schien etwas zu spüren und berührte ihre Wange. Sie war nass. Irgendwann schienen ihr Tränen über das Gesicht geflossen zu sein. Wie sich herausstellte, hatte sie in einem Traum gelebt ... Sie war nie aufgewacht ...
Als ihre Eltern starben, nahmen die Greenwoods, die sie nie zuvor getroffen hatte, sie auf. Es war eine kalte, rücksichtslose, große Familie. Jedes ihrer Mitglieder war egoistisch und utilitaristisch. Wären sie nicht ihre Erziehungsberechtigten gewesen, hätten sie sich bestimmt überhaupt nicht um sie gekümmert.
Sie war nie ein Teil ihrer Familie gewesen. Für sie war ihre Existenz eher die eines entbehrlichen Geistes. Als sie in ihrem Haus lebte, war ihr einziger Freund der Junge, der sie immer anlächelte. Nach dem Tod ihrer Eltern war er der erste Mensch, der sich wirklich um sie kümmerte. Er verabreichte ihr Medizin, wenn sie hinfiel, und brachte sie dazu, mit dem Weinen aufzuhören. Er nahm auch oft die Schuld auf sich, wenn sie Fehler machte, und half ihr so, die Schelte der Eltern zu vermeiden.
ders. Immer wieder half er ihr, aus ihren Albträumen aufzuwachen. Doch der Junge aus ihrer Vergangenheit war inzwischen zu einer offenen, unheilbaren Wunde in ihrem Herzen geworden. Ihr Herz schmerzte, wann immer sie an ihn dachte.
„Warum? Jared, warum musstest du zurückkommen? Warum?“
Vielleicht lag es an dem Anruf von Jared Jenson oder vielleicht daran, dass sie genug geschlafen hatte, Michelle verbrachte den Rest der Nacht damit, sich hin und her zu wälzen.
Als sie am nächsten Morgen einen Blick in den Spiegel erhaschte, konnte sie ein bitteres Lächeln nicht unterdrücken. Sie hatte zwei dunkle Ringe um die Augen und ihr Teint war ziemlich blass. Mit einem reumütigen Lächeln bereitete sie eine kalte Kompresse vor, schloss die Augen und legte die Kompresse auf ihre Augen. Die letzte Nacht hatte sie wirklich erschöpft, sowohl körperlich als auch geistig. Aber sie wollte nicht wie ein Wrack ins Büro gehen. Ihr Praktikum ging bald zu Ende. Wenn sie nachließ, waren all ihre Bemühungen der letzten Jahre umsonst.
Als sie sich während ihres Studiums dazu entschloss, Gerard zu heiraten, war ihre einzige Bedingung, dass er sie ihr Studium beenden ließ. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, war eine solche Bedingung eigentlich lächerlich, denn sie ließen sich am Ende überstürzt scheiden, noch bevor sie ihren Abschluss machen konnte. Mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen warf sie die Kompresse beiseite.
Es war schon zu spät zum Frühstück, also ging sie eilig nach unten. Obwohl es ziemlich ärgerlich war, sich an ihrem letzten Urlaubstag scheiden zu lassen, wollte sie am ersten Arbeitstag nicht zu spät kommen, damit sie in Zukunft nicht darunter leiden musste. Plötzlich tauchte Nadias altes Gesicht in ihrem Kopf auf, also konnte sie nicht anders, als ihre Schritte zu beschleunigen.
Michelle war noch ein ganzes Stück von der Hauptstraße entfernt, als sie ein Taxi nach dem anderen schnell vorbeifahren sah. Sie blickte verärgert auf die weißen High Heels an ihren Füßen. Darin konnte sie nicht rennen! Sie hob ihr Handgelenk, um auf die Uhr zu schauen und stellte fest, dass sie zu spät kommen würde. Das Bild von Nadias Gesicht in ihrem Kopf wurde plötzlich lebendiger. Michelle konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Es schien, als würde es ihr heute wirklich schlecht gehen.
Ein silbergraues Auto tauchte aus dem Nichts auf und kam quietschend vor ihr zum Stehen. Eine Sekunde später ließ sich das Fenster herunter und Gerards kaltes Gesicht kam zum Vorschein. „Steig ein!“ Sein Ton war genauso kalt wie sein Gesichtsausdruck.