Kapitel 5 Bestialischer Gentleman
Instinktiv zog sich Mitchel zurück, als Lauren ihre Arme um seine Taille schlang.
Laurens Arme blieben hängen. Sie sah, gelinde gesagt, überrascht aus.
Im Nu herrschte Totenstille im Raum.
Verlegen zog Lauren ihre Hände zurück und ballte sie zu Fäusten. Ihre Augen wurden rot, als sie fragte: „Mitchel, hasst du mich jetzt?“
„Natürlich nicht.“
Mitchel reichte ihr ein Stück Taschentuch, um sie zu trösten.
„Ich wusste es. Ich bin jetzt nur noch eine Last …“ Lauren brach in Tränen aus. „Ich hätte nicht zurückkommen sollen.“
„Sei nicht albern!“ Mitchel trat einen Schritt vor und drückte ihre Schulter. „Du bist mir keine Last. Egal was passiert, ich werde immer auf dich aufpassen.“
„Mitchel, ich weiß, dass du mich nie verlassen würdest.“ Lauren hielt seine Hand fest und sah mit besessenen Augen zu ihm auf.
Mitchel ging erst, als Lauren eingeschlafen war.
Sobald sich die Tür schloss, öffnete Lauren, die nur so getan hatte, als ob, ihre Augen.
Sie hatte gerade einen seltsamen Duft an Mitchels Kleidung wahrgenommen. Er war so schwach, aber sie konnte darauf wetten, dass er von einer Frau kam.
Es war jetzt nur noch eine Frau in Mitchels Nähe. Nur Raegan konnte ihm so nahe gekommen sein, dass sie ihren Duft an ihm hinterlassen konnte. Pfui!
Lauren biss die Zähne zusammen und ihr Gesicht war vor Wut verzerrt.
„Ich schwöre, ich werde dich fertigmachen, Raegan!“
Sie schwor, Raegan dafür büßen zu lassen, dass er sich in ihrer Abwesenheit an Mitchel gewandt hatte. Sie freute sich schon darauf, Raegan zu ihren Füßen kriechen zu sehen, während sie um Gnade flehte.
Inzwischen fragte sein Assistent Mitchel, kaum dass er ins Auto gestiegen war: „Wohin, Mr. Dixon?“
Mitchel lockerte seine Krawatte und presste die Finger auf seine Schläfen. Er antwortete müde: „Crystal Bay.“
Als er ankam, ging er sofort nach oben und gab problemlos das Passwort für die Wohnung ein.
Die Tür des Hauptschlafzimmers stand halb offen. Als er hineinkam, sah Mitchel, dass Raegan auf der Seite schlief.
Ihr Haar war zerzaust und der Träger ihres Nachthemds hing von ihrer Schulter und enthüllte einen Teil ihres Schlüsselbeins und ihrer Brust.
Mitchel betastete ihre Stirn mit dem Handrücken und stellte fest, dass ihr Fieber gesunken war.
Er streckte seine Hände aus, um sie zuzudecken. In diesem Moment drehte sich Raegan plötzlich um und ihr Gesicht war leicht rot. Sie sagte unbewusst: „Wasser … ich will Wasser.“
Mitchel holte ihr schnell ein Glas Wasser. Er beugte sich vor, um leise ihren Namen zu rufen.
Sie antwortete nicht. Er hob leicht die Augenbrauen, setzte sich auf die Bettkante, zog sie in die Arme und gab ihr vorsichtig das Wasser.
Sie schien großen Durst zu haben, da sie mehr als die Hälfte des Wassers im Glas trank.
Im Dämmerlicht glänzten ihre rosigen Lippen, nachdem sie mit Wasser befeuchtet worden waren. Sie sahen so einladend aus. Mitchels Blick wanderte zu ihrer Brust, während sie schwach in seinen Armen lag.
Als er erregt wurde, wischte Mitchel Raegans Lippen mit seinem Zeigefinger ab.
Es schien, als ob Raegan seine Anwesenheit spürte, denn sie murmelte unhörbar.
Schließlich zog Mitchel seine Hand zurück. Seine Finger spürten noch immer die Wärme ihrer Lippen, und sein ganzer Körper war heiß.
Er legte sie schnell aufs Bett und deckte sie zu, bevor er aus dem Zimmer floh.
Es war fast Mittag, als Raegan am nächsten Tag aufwachte.
Da es Wochenende war, musste sie nicht zur Arbeit.
Wenn es Ausnahmen gab, konnten Matteo und die anderen vier Assistenten sich an den Wochenenden abwechselnd um die Arbeitsangelegenheiten des Präsidenten kümmern. Sie musste sich also keine Sorgen machen.
Raegan stieg aus dem Bett. Als sie das Glas auf dem Nachttisch sah, war sie verwirrt.
Sie konnte sich nicht erinnern, gestern Abend vor dem Schlafengehen Wasser getrunken zu haben.
Seltsam!, dachte Raegan achselzuckend. Sie nahm das kleine Erste-Hilfe-Set und maß mit dem Thermometer ihre Temperatur. Zum Glück hatte sie kein Fieber mehr.
Sie war heute so faul. Also aß sie schnell etwas und ging wieder ins Bett. Es war schon Abend, als sie durch den Klingelton ihres Telefons geweckt wurde.
Der Anruf kam von Nicole Lawrence, ihrer besten Freundin, die gerade aus dem Urlaub in die Stadt zurückgekehrt war. Nicole lud Raegan zum Abendessen ein.
Als sich die beiden im Grillrestaurant trafen, umarmte Nicole Raegan fest und rief: „Raegan, du hast mir so sehr gefehlt!“
Raegan kannte Nicole seit ihrer Highschool-Zeit. Damals war Raegan gerade nach Ardlens gezogen. Die Nordan School vergab zufällig Stipendien an herausragende Schüler.
Raegan war immer eine Einserschülerin gewesen. Sie machte die Aufnahmeprüfung und schnitt als Beste ab, was ihr die Aufnahme an der Schule ermöglichte.
Es war eine Schule mit hohen Schulgebühren. Daher stammten viele der Schüler aus vornehmen Familien. Raegan wurde schnell klar, dass das Leben an der Schule nicht nur eitel Sonnenschein war. Viele Schüler schikanierten sie und sahen auf sie herab, weil sie aus bescheidenen Verhältnissen stammte.
Eines Tages sprang Nicole Raegan zur Hilfe, nachdem sie gemobbt wurde. Dies war der Beginn ihrer engen Freundschaft.
Erst als sie sich näher kamen, erfuhr Raegan, dass die Familie Lawrence ein berühmter Energiemagnat in Ardlens war. Und als solcher war Nicole ein Kind mit einem Treuhandfonds.
Aber es hatte keinerlei Auswirkungen auf ihre Beziehung.
Ihre Freundschaft war seit der High School stärker geworden.
Nach den Begrüßungen und Umarmungen zog Nicole einen großen, gut gebauten Mann am Arm und stellte ihn dann vor: „Raegan, das ist mein Freund, Kieran Bradley.“
Nicole machte heimlich eine Geste mit ihren Fingern, die auf die Zahl 17 deutete.
Raegan verstand den Wink und schüttelte hoffnungslos den Kopf. Sie verstand, dass dieser Mann Nicoles siebzehnter Fang war.
„Hallo, Raegan. Nicole hat mir viel von dir erzählt. Du bist viel schöner, als sie es beschrieben hat. Nett, dich kennenzulernen!“, grüßte Kieran und streckte eine Hand aus.
Sein Blick blieb auf Raegan haften, was Raegan ein wenig Unbehagen bereitete. Aus Höflichkeit schüttelte sie ihm trotzdem die Hand.
Kieran kratzte ihre Handfläche mit seinem Zeigefingernagel, als er seine Hand zurückzog.
Sie bekam augenblicklich eine Gänsehaut.
Als sie den Kopf hob, um ihn anzusehen, sah Raegan, dass Kieran ganz verliebt in Nicole war, als hätte er gerade nichts getan.
Mitten in der Mahlzeit entschuldigte sich Kieran, um auf die Toilette zu gehen.
Als Nicole und Raegan allein waren, fragte Nicole: „Wie geht es dir?“
Raegan wusste, was Nicole meinte. Sie hatte nie etwas vor Nicole verheimlicht, auch nicht ihre Beziehung zu Mitchel. Selbst wenn Raegan es Nicole nicht erzählte, hatte die Familie Lawrence Verbindungen, sodass Nicole mehr über Lauren wusste als sie selbst.
Raegan wollte etwas sagen, doch ihr wurde plötzlich schlecht. Sie bedeckte ihren Mund mit der Hand und eilte ins Badezimmer.
Raegan benutzte das Badezimmer neben dem Esszimmer nicht, weil sie Angst hatte, Nicole könnte ihre Schwangerschaft vermuten.
Als sie aus dem Badezimmer kam, hörte sie eine vertraute Stimme von hinten.
„Ha-ha! Ich bin sicher , ich kann sie heute Abend mit ins Bett nehmen. Schlimmstenfalls müsste ich ihr etwas ins Getränk mischen. Ich habe diese langweilige Frau schon satt. Jedenfalls muss ich sie probieren. Oh, da fällt mir ein! Ihre beste Freundin ist wunderschön. Es wird toll, mit ihr zu zweit zu sein. Ich werde dabei auf jeden Fall ein paar Fotos und Videos machen. Damit können wir sie später erpressen …“
Diese widerlichen Worte kamen von Kieran. Raegan ballte ihre Hände zu Fäusten.
Sie blieb stehen und starrte ihn wütend an. Als Kieran sich nach dem Gespräch umdrehte, erlitt er beim Anblick von Raegan fast einen Herzinfarkt.
Er gewann jedoch bald seine Fassung zurück. Ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Raegan, was für ein Zufall!“ Nachdem er das gesagt hatte, tat Kieran so, als sei er schockiert und sagte: „Verzeihen Sie mein Benehmen. Ich hoffe, meine Reaktion hat Sie gerade nicht aus der Fassung gebracht.“
Seine Nonchalance und seine Stimme machten Raegan krank.
„Benimm dich, okay?“, warnte Raegan ihn und warf ihm einen mörderischen Blick zu.
Kieran schenkte diesen Worten keine Beachtung. Er ging näher und beugte sich vor. „Oh, Raegan. Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Es ist Liebe auf den ersten Blick.“
Nachdem er das gesagt hatte, konnte er es kaum erwarten, Raegans Hand zu ergreifen.
Raegan trat schnell von ihm zurück.
Kieran gähnte, aber es schien ihm überhaupt nichts auszumachen.
Kieran hatte sich ausgetobt. Er verlor bald das Interesse an den Frauen, die mit ihm schliefen. Raegans Schönheit ließ seine Augen strahlen. Ihre Schönheit war natürlich und ihre Haut strahlte im Licht. Ihre Augen waren wie die einer Sirene, als sie ihn ansah. Sie war so verführerisch, dass er seine Augen nicht von ihr abwenden konnte.
Kieran war fest davon überzeugt, dass das Nein einer Frau ein Ja bedeutete. In seinen Augen spielte Raegan nur die schwer erreichbare.
Er leckte sich die Lippen und sagte leise: „Wie wär’s, wenn wir woanders hingehen und reden?“
Als Raegan das hörte, fühlte sie sich, als hätte sie gerade eine Fliege verschluckt.
Als Kieran sah, dass Raegan ihn nur schweigend anstarrte, nahm er an, dass sie wegen seines Charmes sprachlos war. Er trat einen weiteren Schritt vor und sagte: „Wenn du jetzt schüchtern bist, sag mir deine Nummer. Wenn ich Nicole wegschicke, könnten wir uns treffen und du weißt schon …“
Raegan nickte, sehr zu seiner Freude.
Kieran lächelte glücklich und zückte sein Handy. Er sah sie an, als wolle er sie verschlingen. „Baby, als du durch die Tür gekommen bist, habe ich mich sofort in dich verliebt. Es scheint, du bist die Richtige für …“
Bevor er ihre Worte beenden konnte, hob Raegan das Glas in ihrer Hand und zielte auf sein Gesicht.
„Ups!“ Sie bedeckte unschuldig ihren Mund. „Entschuldige, ich habe gerade einen Krampf in der Hand.“
Das Getränk, das Raegan bestellte, war ein Glas Himbeerlimonade. Die Flüssigkeit bedeckte Kierans Haare und Körper und ließ ihn ein wenig komisch aussehen.
Kieran grunzte wütend, aber als er ihre Entschuldigung hörte, konnte er sich nicht dazu durchringen, wütend auf sie zu werden. Ihr unschuldiger Blick machte sein Interesse nur noch größer. Er benahm sich wie ein Gentleman, als er sagte: „Es ist okay, Baby. Fehler passieren. Ich muss mich umziehen. Wie wär’s, wenn wir ins Hotel gehen und du mir neue Kleidung kaufst?“
Raegan musterte ihn angewidert, bevor er sagte: „Oh Mann! Du bist so schamlos! Wie kannst du mir so etwas sagen?“
Erst dann wurde Kieran klar, dass Raegan ihm einen Streich spielte. Er verlor sofort die Fassung und drohte: „Sieh mal, du verrückte Frau! Ich werde dir heute eine Lektion erteilen!“
Der sogenannte Gentleman verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in ein Tier. Er hob die Hand und wollte ihr eine Ohrfeige verpassen.