Kapitel 5: Die Allerglänzendste
Scarletts Sicht:
Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich trug ein langes weißes Abendkleid, ein Paar Stöckelschuhe von Prada und Perlenohrstecker. Meine Haare hatte ich zu einem strengen, sauberen Dutt hochgebunden. Aber ich dachte immer noch, dass etwas fehlte. Dann legte ich meine schwarze Halskette mit dem kleinen Türkis daran an und lächelte. Mein Vater hat es meiner Mutter geschenkt und meine Mutter hat es an mich weitergegeben.
„Bist du fertig? Komm, Scarlett, lass mich sehen. Kannst du dein Telefon nicht hochheben, damit ich dich sehen kann?“ Tiana und ich haben per Videoanruf telefoniert, während ich mich angezogen habe. Während ich mich für die Party fertig machte, protestierte sie am anderen Ende der Leitung lautstark.
„Warte mal. Ich habe nur zwei Hände, Tiana. Beruhige dich dann. Ich bin fast fertig.“ Zum Schluss trug ich meinen liebsten rosa Lippenstift auf und schmollte, um die Farbe zu prüfen.
„Dreh dich um. Lass mich mal schauen.“, sprach Tiana.
Ich betrachtete mich im Spiegel und fühlte mich immer noch unwohl. Ich nahm mein Telefon und richtete die Frontkamera auf mich. Tiana bedeckte ihren Mund und blieb stehen. Das Bild war eingefroren. Lag es an einem schlechten Signal?
„Tiana, bist du noch da?“
„Oh mein Gott, Scarlett! Du siehst absolut umwerfend aus! Und Charles wird verblüfft sein, wie großartig du heute Abend aussiehst! Tatsächlich werden alle Männer auf der Party verblüfft sein!“
„Frau Moore, falls wir jetzt nicht aufbrechen, müssen wir den Hubschrauber nehmen“, Burton, Charles Fahrer, rief mich von der Einfahrt aus an.
„Danke für das wie immer übertriebene Kompliment, Tiana. Ich muss jeoch los. Ich bin schon spät dran.“ Dann legte ich auf, hob mein Kleid und ging vorsichtig nach unten.
„Sie sehen wunderschön aus, Frau Moore. Sie werden heute Abend auf der Party für Aufsehen sorgen.“ Burton öffnete mir die Tür dann.
„Danke, Herr Burton. Lass uns gehen.“ Ich hatte nicht so viel Lust, an formellen Veranstaltungen teilzunehmen, aber ich freute mich auf diese Party.
„Und gelingt es uns möglich, pünktlich anzukommen?“
„Natürlich, Frau Moore. Vertrauen Sie mir bitte.“ Nachdem er das gesagt hatte, trat Burton aufs Gaspedal und fuhr in Richtung des Ritz Carlton Hotels.
Ehe ich mich versah, war ich am Abgabebereich des Hotels. Ich stieg aus dem Auto und spürte den kalten Abendwind auf meinen Armen und meinem Gesicht. Zum Glück sollte es drinnen warm sein. Ich betrat den Bankettsaal und viele Köpfe drehten sich in meine Richtung. Durch die ganze Aufmerksamkeit war ich etwas angespannt und fragte mich, ob ich es mit meinem Outfit übertrieben hatte.
„Du bist endlich da, Scarlett!“ Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als Christine auf mich zukam.
„Entschuldige, Meine liebe Oma, dass ich zu spät bin.“
„Unsere kleine Prinzessin ist endlich da.“ Ich strahlte, als Alice und ihr Mann Lawrence ebenfalls auf mich zukamen.
„Papa, Mama. ich bin so froh, euch beide zu sehen. Ich entschuldige mich zutiefst für meine Verspätung.“
„Mach dir keine Sorgen, Liebling. Der Beste ist sowieso immer der Letzte, der auftaucht.“ Alice versicherte es mir mit einem Lächeln. Dann waren viele Leute im Bankettsaal auf mich aufmerksam geworden. Einer von ihnen war ein junger Mann, der mir zuwinkte und lächelte. Es war Spencer.
Ich ließ meinen Blick über die summende Menge schweifen und begegnete schließlich einem Paar kalter, dunkler Augen. Keinen Zweiel, es war Charles und er starrte mir direkt in die Augen.
Außer dem üblichen distanzierten Blick lag heute Abend noch etwas anderes in seinen Augen, das ich nicht ganz einordnen konnte.
„Wer ist sie?“
„Ich glaube, sie ist das Mädchen, das Lawrence und Christine adoptiert haben. Finden Sie sie nicht wunderbar?“
„Ja, sie ist atemberaubend. Sie ist sogar noch attraktiver als Rita.“
Alle begannen, sich miteinander zu flüstern.
„Seht, aus unserer kleinen Scarlett ist eine bezaubernde junge Frau geworden!“ Spencer kam mit einem Lächeln im Gesicht herüber. David war ihm dicht auf den Fersen.
„Lange nicht gesehen, Spencer und David.“ Ich streckte ihnen meine Hand entgegen und sie küssten sie. Als Spencer mich umarmte, erhaschte ich einen Blick auf Charles. Er stand an der Bühne und sah mir zu. Er sah mich immer noch mit diesen eisigen, undurchschaubaren Augen an. Diesmal konnte ich einen Anflug von Wut in seinem Gesicht erkennen.
„Meine Damen und Herren, bevor wir heute Abend den 60. Jahrestag der Moore Group feiern, möchten wir zunächst unseren geschätzten CEO, Herrn Charles Moore, zu seinen Eröffnungsworten begrüßen.“
Charles betrat die Bühne, lächelte den Moderator an und schüttelte ihm die Hand. Das kalte Gesicht war schon verschwunden und er begann seine Rede in einem warmen Ton zu halten, den ich noch nie bei ihm gehört hatte. Er sah mich von Zeit zu Zeit an und ich erwiderte seinen Blick.
Einige Reporter wurden auch zur Party heute Abend eingeladen. Nach Charles‘ Rede durften sie ihm einige Fragen stellen.
„Herr Moore, es geht küzrlich das Gerücht um, dass Sie und Frau Rita Lively verlobt sind. Stimmt das?“ Einer davon fragte:
„Und waren Sie bei ihr damals, als sie beim Anprobieren von Brautkleidern fotografiert wurde?“ folgte der anddere weiter.
Diese Fragen, die sie Charles direkt stellten, überraschten mich eigentlich nicht.
Denn die Moore Group stand immer im Rampenlicht und Rita war auch eine Schauspielerin, deren Karriere die Gerüchteküche anheizte. Finanzreporter können manchmal sogar geschwätzig sein.
Ich drehte mich um und sah Alice, Christine und Lawrence an. Ihnen gefiel nicht, was passierte.
„Ich denke, mein Privatleben ist heute Abend die geringste Sorge von allen. Und damit möchte ich Sie zu den Feierlichkeiten heute Abend willkommen heißen, und im Namen der Moore Group danke ich Ihnen nochmal für Ihre Anwesenheit und wünsche Ihnen einen schönen Abend.“
Charles hat das ganz gut gemeistert, und das war auch zu erwarten. Er war lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie man mit neugierigen Leuten umgeht. Nachdem Charles seine Rede beendet hatte, setzte die Band ihre Musik fort und übertönte damit die weiteren Fragen der Reporter. Bald füllten die Gäste die Tanzfläche.
„Scarlett, darf ich dich um einen Tanz bitten?“ Spencer kam auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich strahlte, als er sich wie ein echter Gentleman anmutig vor mir verbeugte. Ich fand das ein wenig amüsant, wenn man bedenkt, dass Spencer in der Highschool ein ziemlicher Frauenheld war. Kein Gentleman-Verhalten könnte jemals die Spur gebrochener Herzen verdecken, die er einst hinterlassen hat.
„Selbstverständlich! Warum nicht?“, stimmte ich zu.
Ich nahm seine Hand und ließ mich von ihm zur Tanzfläche ziehen. Er legte eine Hand um meine Taille und hielt meine Hand mit der anderen in die Luft. Ich legte meine andere Hand auf seine Schulter.
„Halt mich fester, du Feigling. Hast du Angst, von Charles geschlagen zu werden oder?“, flüsterte ich Spencer zu. Spencer grinste und schüttelte leicht den Kopf. Dann drückte er mich fester an sich. Und dann begannen wir zu tanzen.
Nach einigen Augenblicken fühlte ich mich plötzlich unwohl. Ich hatte das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Ich habe das Gefühl sofort verworfen. Vielleicht habe ich einfach zu viel nachgedacht oder mein Halsband einfach zu eng angelegt.
„Nimm deine Hand von ihr.“ Eine vertraute Stimme unterbrach plötzlich meinen Gedankengang. Und jemand hatte Spencers Hand von meiner Taille gerissen. Ich hatte keine andere Wahl, als aufzuhören.
Ich drehte mich schmollend um und sah, dass Charles mit diesem verwirrenden Gesichtsausdruck direkt hinter mir stand. Ich konnte nicht erkennen, ob er wütend war oder Schmerzen hatte.
„Was ist los, Charles? Ich tanze nur mit unserem Freunden“, fauchte ich.
Er sah total fassungslos aus. Mit meiner solchen Reaktion hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Aber er sagte nichts.
Er drehte sich einfach um und stampfte davon wie ein kleiner Junge, dem seine Eltern nicht erlaubten, draußen zu spielen. In diesem Moment kam ein Kellner vorbei, ich nahm ein Glas Champagner von seinem Tablett und trank in einem Zug aus. Ich hatte auch keine Lust mehr zu tanzen.
„Warum stürzt er sich immer auf uns und verdirbt allen den Spaß?“, beschwerte ich mich bei Spencer.
„Die Macht der Gewohnheit. Mach dir keine Sorgen, Scarlett. Deine guten Tage sind auf dem Weg.“, sagte er mit Lächeln. Gute Tage? Meinte er die Tage nach der Scheidung? Da war ich mir nicht sicher.
Schon bald war mir das Treiben im Bankettsaal zu viel und ich musste raus, um frische Luft zu schnappen. Ich nahm meinen Halsband ab, als ich zum Balkon ging. Die kalte Nachtluft fühlte sich so angenehm auf meinem Gesicht an. Spencer und David sind mir nicht gefolgt, was habe ich sehr geschätzt. Wirklich brauchte ich einige Zeit für mich allein, um mich zu beruhigen und neu auszurichten.
Los Angeles war auf eine ganz andere Art schön als Paris, wo ich die letzten drei Studienjahre verbracht habe. Doch auch wenn Paris immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben wird, wird Los Angeles immer mein Heim bleiben.
Doch seitdem ich nach Amerika zurückgekommen war, fühlte ich mich ein wenig einsam. Ich vermisste Tiana. Ich konnte es kaum erwarten, bis sie von ihrer Geschäftsreise zurückkam. Bis jetzt wurde mir plötzlich bewusst, dass ich nur mit meinen europäischen Freunden in den vergangenen drei Jahren verbracht hatte. Und im Augenblick vermisste ich Tiana noch mehr.
Eine Brise wehte und ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Ich holte tief Luft und lbegrüßte das Unbehagen. Irgendwie schien es mir zu helfen, meine Nerven zu beruhigen.
Als nächstes deckte mich jemand mit einem Jackett zu. Ich erkannte einen vertrauten Geruch sofort, und Ich drehte mich um. Im trüben Licht konnte ich die Konturen eines hübschen Gesichts erkennen. Ich begegnete dem Blick des Mannes, der hinter mir stand, und der Fluss des Gefühles in mir, das ich gerade beruhigt hatte, geriet erneut in reißende Strömungen.
„Hier draußen ist es eiskalt, dann wirst du dich erkälten.“ sagte Charles sanft.
Manchmal erstaunte es mich sehr, wie sich mein Ehemann vom gleichgültigen zum fürsorglichen Mann in einen Moment wechseln. Es war, als hätte er irgendwo einen Schalter, den er umlegte, wann immer er wollte.
Aber warum? War für hat er es getan? Warum hat er mir die kalte Schulter gezeigt und sich dann umgedreht und mich verlockte? Ich habe schon der Scheidung schon zugestimmt. Und er war nicht länger verpflichtet, sich um mich zu kümmern.
„Ist dir nicht kalt?“ Ich sah zu Charles auf.
„Nein, mir geht es gut.“ sprach er.
Im Moment piepte mein Telefon doch. Es war eine Nachricht von Tiana, die berichtet, dass sie bereits eine Unterkunft für mich gefunden.
„Ich ziehe mich in ein paar Tagen aus.“ sagte ich zu Charles.
„Wieso?“
„Denn geschiedene Paare leben in der Regel nicht mehr unter einem Dach.“
„Ich habe die Papiere noch nicht unterschrieben.“ eilte er sich zu sagen.
„Beruhig dich, Charles! Der Ort liegt in der Nähe des Büros, in dem ich arbeiten werde. Das ist für mich viel praktischer.“ erklärte ich davon.
„Wohin gehst du zu arbeiten? Hast du dir einen Job gesucht? Ich hätte es auch für dich organisieren können.“
Als ich das hörte, lächelte ich im Herzen bitter. Plötzlich wurde mir klar, dass Charles mir schon vieles arrangiert hatte. Davon war es das Bemerkenswerteste, dass er dafür gesorgt hatte, dass ich zu einer Frau heranwuchs, die seines Namens würdig war. Und ich hatte ein Leben unbewusst geführt, das er dirigierte, und war wie ein toter Fisch mit seiner Strömung geschwommen.
„Bitte nicht, Charles. Mir geht es gut. Ich habe bereits mit dieser Personalabteilung jener Firma gesprochen, dass ...“
„Hör zu, Scarlett …“
„Warum sollte ich mir überhaupt noch etwas anhören, was von dir kommt?“, fauchte ich erneut., und wollte gerade das Jackett ausziehen, aber Charles hielt mich davon ab.
„Willst du dich erkälten, damit ich mich um dich kümmere? Oder möchtest du, dass ich sofort reingehe und Oma mitbringe, damit sie dich ausschimpfen kann?“ sagte er bitter mit einem halben Lächeln.
Ich verdrehte die Augen und zog das Jackett wieder an.
„Nimm das.“ Charles drückte mir eine Bankkarte in die Hand und drehte sich dann um, um zu gehen.
„Wann sollen wir die Scheidungsformalitäten erledigen?“, fragte ich.
„Warum hast du es so eilig, dich von mir scheiden zu lassen? Liegt es an diesem französischen Künstler? Wie hieß er noch mal? Piero? Pierre?“, fragte er scharf.
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich blickte ihn nur einen Moment lang an. Dann drehte ich mich auf dem Absatz um und ging. Falls er dachte, ich hätte schon seine Frage mit „Ja“ beantwortet, dann hat er mich total missverstanden.