Kapitel 3 Ein einfaches Nudelgericht
Eigentlich wollte sie nur ein Nickerchen machen, doch als sie aufwachte, war es bereits nach acht Uhr abends.
Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zum Abendessen zu wecken.
Maria ging durch das Haus und fand Lily im Wohnzimmer.
„Lily, gibt es etwas, das ich essen kann? Ich habe verschlafen und jetzt habe ich Hunger.“
„Oh, du bist endlich wach. Ich dachte, du würdest nie wieder aufwachen!“
Lily schnaubte und ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.
„Die Familie ist zu einem Konzert ausgegangen und kommt deshalb erst heute Abend nach Hause. Neben dem Kochen habe ich auch noch andere Hausarbeiten zu erledigen. Du hast das Abendessen verpasst und es war nicht meine Schuld. Ich werde jetzt nicht für dich kochen. Du kommst vom Land. Du solltest doch zumindest Nudeln kochen können, oder? Im Kühlschrank sind Zutaten.“
Da sie ebenfalls aus einer armen Familie stammte, dachte sich Lily, dass ein Hinterwäldler wie Maria zumindest wissen sollte, wie man einige einfache Dinge kocht.
Schließlich konnten sie sich auf niemand anderen auf dem Land verlassen als auf sich selbst.
Maria starrte Lily an, die behauptete, sie sei mit Hausarbeiten beschäftigt.
Die Bedienstete saß einfach auf dem Sofa und sah sich mit einer riesigen Schüssel Popcorn ein Drama im Fernsehen an.
Als Maria das sah, musste sie die Augen verdrehen. Nur ein Narr würde Lilys Lügen glauben.
„Gut. Ich werde mir etwas machen.“
Maria hatte keine andere Wahl und ging direkt in die Küche.
Lily sah ihr nach und lächelte selbstgefällig.
„Hat diese Schlampe wirklich gedacht, dass ich alles stehen und liegen lassen würde, nur um für sie zu kochen? Das glaube ich nicht!“, spottete Lily kalt und murmelte leise vor sich hin.
In ihren Augen waren nur die tatsächlichen Mitglieder der Jenkins-Familie dazu geeignet, sie wie eine Dienerin zu behandeln. Schließlich kamen sie und Maria beide aus armen Familien. Wer war sie, dass sie ihr Befehle erteilen konnte?
Nach einer Weile hörte Lily die Geräusche einer geschäftigen Küche.
Aus der Küche hallte das Geräusch von schnell und gekonnt geschnittenem Gemüse wider. Lily runzelte unwillkürlich die Stirn und fragte sich, ob Maria tatsächlich besser kochen konnte als sie.
„Pah! Unmöglich!“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. Lily war stolz auf ihre Kochkünste. Immerhin waren sie der Hauptgrund, warum sie noch immer in diesem Haushalt arbeitete.
Doch ein paar Minuten später stieg ihr ein köstlicher Duft in die Nase.
Als Lily ihn roch, konnte sie nicht anders und musste schwer schlucken.
Was in aller Welt hat Maria gekocht?
Und wie zum Teufel kann ein einfaches Nudelgericht so verlockend riechen?
Lily kniff die Augen zusammen und dachte, dass Maria vielleicht ein einzigartiges Rezept auf Lager hat. Wie sonst könnte ein so einfaches Gericht so gut riechen? „Wenn ich ihr Rezept lernen kann, wird die Familie Jenkins mit meiner Kochkunst zufriedener sein. Vielleicht geben sie mir sogar eine Gehaltserhöhung!“
Bei diesem Gedanken leuchteten Lilys Augen. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Sie schaltete schnell den Fernseher aus und ging ins Esszimmer, um dort auf Maria zu warten. Als sie Schritte aus der Küche hörte, setzte sie ihr strahlendstes Lächeln auf.
„Was hast du gekocht? Kann ich sehen –“
Es war das erste Mal, dass Lily Maria mit einem Anschein von Respekt behandelte, doch ihr strahlendes Lächeln verschwand augenblicklich, als sie sah, dass Maria mit leeren Händen dastand.
„Nudeln“, antwortete Maria tonlos, ihre Augen so stumpf wie eine leblose Puppe.
„Ich weiß, ich weiß. Aber wo ist es? Wo ist das Essen?“, fragte Lily und ihr Tonfall nahm einen Anflug von Ungeduld an.
„Ich habe es gegessen. Ich habe dir gesagt, dass ich hungrig bin.“ Lilys Lächeln erstarrte, als sie das hörte. Maria hingegen ging an ihr vorbei und steuerte auf die Haustür zu. „Ich gehe spazieren“, verkündete sie.
Lily war zu benommen, um zu antworten. Als sie wieder zu sich kam, hatte Maria die Tür bereits hinter sich geschlossen.
Sie wollte unbedingt Marias geheimes Nudelrezept erfahren, war aber zu stolz, um sie direkt zu fragen. Also ging sie in die Küche, um nachzusehen, ob Maria irgendwelche Hinweise hinterlassen hatte.
Leider hatte Maria das Geschirr, das sie benutzt hatte, bereits gespült. Die Küche war so blitzsauber wie zuvor. Alles war in Ordnung, bis auf den anhaltenden, appetitanregenden Geruch des Nudelgerichts.
Lily schürzte unglücklich die Lippen.
Sogar später in der Nacht wehte der Duft noch durch die Villa.
Die Eingangstür wurde wieder geöffnet und Vivian Jenkins trat ein. Sie und ihre Eltern waren gerade vom Konzert zurückgekommen.
„Wow! Was ist das für ein unglaublicher Geruch?“
Vivians Augen weiteten sich vor Freude, als sie Lily aufgeregt ansah.
„Lily, was in aller Welt hast du gekocht? Geh und koch noch etwas für mich!“, befahl Vivian sofort.
Als Lily das hörte, biss sie sich auf die Lippe.
Natürlich könnte sie Vivian ein einfaches Nudelgericht kochen, aber es wäre bei weitem nicht so appetitlich wie das, was Maria gekocht hatte!