Kapitel 1: Zurücktreten und zurückkehren
Die Nacht wurde dunkler.
In Mapleley war es das ganze Jahr über erschreckend kalt.
Gerade fuhr ein Militärjeep auf die schneebedeckte Straße und hinterließ eine Spur weißer Wogen. Der junge Mann auf dem Rücksitz rieb sich müde die leicht geröteten Augen.
Ein Stückchen hinter dem Jeep befand sich ein Militärstützpunkt, vor dessen Toren sich eine dichte Masse uniformierter Soldaten versammelt hatte.
In diesem Moment salutierten alle mit feuchten Augen dem dahinschmelzenden Jeep zu.
„Danke für deinen Dienst, Gott des Krieges!“
„Danke für deinen Dienst, Gott des Krieges!“
Alle Soldaten schrien im Chor und die eisige Luft trug ihre Stimmen in die Nacht.
Ein stämmiger Mann namens Vincent Wagner fuhr den Militärjeep und warf seinem Beifahrer im Rückspiegel einen Blick zu. Er räusperte sich und fragte zögernd: „Ist das wirklich das Ende für Sie, General? Verlassen Sie wirklich den Dienst?“
Der Mann, mit dem er sprach, war Ryder Valdez. Er war ein junger Mann, der erst seit fünf Jahren in der Armee war, aber bereits Großes geleistet hatte.
Mit siebenundzwanzig Jahren wurde er der jüngste General, der jemals Mapleley bewachte.
Nachdem er den Rang eines Generals erreicht hatte, führte er seine Männer in zahllose Schlachten und gewann, wodurch er sich den Titel „Gott des Krieges“ verdiente.
„Jetzt, wo wir in Mapleley unbesiegbar sind, wer wird es wagen, mit uns zu kämpfen?“
Nachdem er das gesagt hatte, holte Ryder ein Foto heraus.
Auf dem Foto stand er neben einer Frau mit feinen Gesichtszügen. Sie sah aus, als wäre sie Anfang zwanzig, und sie hatte langes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Ihre Augen waren hell, ihre Nase war gerade und ihr Mund war voll. Sie war sogar noch schöner als diese weiblichen Stars.
Auf dem Foto sah sie jedoch nicht glücklich aus.
„Ich frage mich, wie es dir jetzt geht, Zoey“, murmelte Ryder und starrte die Frau auf dem Foto an.
Es war das einzige Bild, das er mit ihr hatte. Ein glückliches Lächeln umspielte bald seine Lippen, als Erinnerungen durch seinen Kopf strömten.
Vor fünf Jahren gründete Zoey Swain, die gerade ihr letztes College-Jahr begonnen hatte, die Sanhoy Group und wurde anschließend eine der bekanntesten und erfolgreichsten Geschäftsfrauen in Linbourne.
Unglücklicherweise wurde sie im entscheidenden Moment der Entwicklung der Sanhoy Group hereingelegt. Sie wurde unter Drogen gesetzt und schlief mit einem der Sicherheitsleute ihrer Firma.
Und dieser glückliche Sicherheitsmann war Ryder.
„Prominente Frau aus Linbourne soll mit Sicherheitsbeamtem Affäre gehabt haben!“
Bevor Ryder und Zoey das Hotel verlassen konnten, hatte sich die Neuigkeit bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Medien waren in Aufruhr und Zoeys Ruf war in Flammen aufgegangen.
Über Nacht verwandelte sich Zoey von einer beeindruckenden Unternehmerin in eine Frau, die einen One-Night-Stand mit einem Sicherheitsbeamten hatte.
Und mit ihrem Namen sank auch der Marktwert der Sanhoy Group in den Keller.
Um den Schaden zu begrenzen, suchte und fand die Familie Swain Ryder und überredete ihn, Zoey zu heiraten.
Die Nachricht von der Hochzeit der beiden erschütterte ganz Linbourne. Eine Zeit lang war es das einzige Gesprächsthema, doch gleichzeitig war die Familie Swain zur Lachnummer geworden.
Doch nicht lange nach ihrer Hochzeit verließ Ryder die Familie heimlich und ging seinen eigenen Weg, in der Hoffnung, sich Zoeys würdig zu erweisen.
In den letzten fünf Jahren war Zoey seine Inspiration gewesen. Immer wenn er daran dachte, aufzugeben, stellte er sich ihr perfektes Gesicht vor und war dann bereit, wieder alles zu geben. Zoey war der Grund, warum er den Gipfel des Ruhms erreicht hatte.
Ryder verspürte jedoch auch lähmende Schuldgefühle, wenn er an sie dachte.
Drei Tage später landete ein Verkehrsflugzeug auf dem Linbourne International Airport.
"Endlich bin ich wieder da."
Ryder stieg aus und betrat zum ersten Mal seit fünf Jahren Linbourne. Er konnte sich ein strahlendes Lächeln nicht verkneifen.
„Mami! Mami, wo bist du?“
Im Ankunftsbereich des Flughafens hörte Ryder ein kleines Mädchen weinen. Aus irgendeinem Grund spürte er, wie sein Herz ein wenig brach.
"Allgemein..."
Bevor Vincent fortfahren konnte, unterbrach ihn Ryder. „Wir sind nicht mehr in Mapleley, Vincent, und ich bin nicht mehr General. Steck den Titel weg.“
Als Vincent Ryders ernstes Gesicht sah, zitterte er leicht und murmelte zögernd: „Ryder?“
Als Ryder anerkennend das Kinn senkte, lächelte er und fuhr fort: „Mir fällt auf, dass das kleine Mädchen dir sehr ähnlich sieht. Seid ihr verwandt?“
Ryder drehte sich um, sah das weinende kleine Mädchen an und runzelte die Stirn. Als er sie erblickte, konnte er seinen Blick nicht mehr abwenden. Ein starkes Gefühl der Vertrautheit überkam ihn.
Das arme Ding schluchzte immer noch und jede Sekunde davon brach ihm das Herz.
Als ob es Ryders Blick spürte, hörte das kleine Mädchen plötzlich auf zu weinen und sah in seine Richtung. Sie wischte sich mit ihrer kleinen Hand die tränennassen Augen.
Ryder und das kleine Mädchen starrten sich einige Augenblicke lang an. Ryder konnte nicht erklären, warum, aber er fühlte sich stark zu dem kleinen Mädchen hingezogen.
Sie hatte ein zartes Gesicht und glatte Haut. Sie blinzelte ihn mit ihren großen, feuchten Augen an. Ihre Wimpern waren lang und mit Tränen bedeckt.
Das kleine Mädchen sah aus, als wäre es vier Jahre alt. Obwohl sie noch ein Kind war, sah sie schon prächtig aus. Sie würde bestimmt einmal eine unglaubliche Schönheit werden.
„Papa!“, rief das kleine Mädchen plötzlich.
Bevor Ryder reagieren konnte, rannte das kleine Mädchen bereits auf ihn zu. Dann umarmte sie fest seine Beine.
In diesem Moment begannen Ryders Ohren zu klingeln. Er hatte das Gefühl, als würde sein Verstand schmelzen.
Vincent stand daneben und beobachtete diese Szene. Auch er war schockiert. Er fragte: „Ist sie wirklich Ihre Tochter, Ryder?“
Nach einer Weile kam Ryder wieder zu Sinnen. Er hockte sich hin und sah das kleine Mädchen an, das ihn mit großen, erwartungsvollen Augen anstarrte. Mit der sanftesten Stimme, die er aufbringen konnte, begann Ryder: „Junge Dame, ich glaube, Sie haben mich mit jemand anderem verwechselt. Ich bin nicht Ihr Papa.“
Doch gerade als Ryder seinen Satz beendet hatte, brach das kleine Mädchen erneut in Tränen aus.
„Nein!“, wimmerte sie schluchzend. „Papa will mich nicht mehr! Papa will mich nicht mehr!“
Alle Passanten schauten herüber und begannen zu flüstern und auf Ryder zu zeigen.
Ryder geriet in Panik. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte es nicht ertragen, das seltsame kleine Mädchen weinen zu sehen.
Als General in Mapleley hatte er viele Männer vor Angst erzittern lassen, aber jetzt war er vor einem schreienden Vierjährigen hilflos. Wenn sich diese Nachricht jemals verbreiten würde, wären viele absolut sprachlos.
„Es tut mir so leid, Liebling, aber ich bin wirklich nicht dein Vater.“
„Papa will mich nicht...“
Jedes Mal, wenn Ryder versuchte, etwas zu sagen, weinte das kleine Mädchen noch mehr.
Fünf Minuten vergingen.
Schließlich beschloss Ryder mit Schweiß auf der Stirn, das kleine Mädchen in seinen Armen zu tragen.
Wieder starrte das kleine Mädchen Ryder mit großen, tränenüberströmten Augen an. Von dem Moment an, als Ryder sie hochgehoben hatte, hatte sie ihn festgehalten und sich geweigert, ihn loszulassen, aus Angst, er würde sie verlassen.
„Ryder, da dieses kleine Mädchen dich so sehr mag, warum ziehst du sie nicht auf, als wäre sie wirklich deins?“, neckte Vincent Ryder mit einem Lächeln. Ryder warf ihm einen tödlichen Blick zu, der ihn sofort den Mund halten ließ.
Hilflos brachte Ryder das kleine Mädchen zum Informationsschalter des Flughafens.
Als Ryder sie absetzte, begann das kleine Mädchen erneut zu weinen, doch Ryder unterdrückte seine Gefühle, drehte sich um und ging mit Vincent weg.
Sobald Ryder und Vincent gegangen waren, stürmte eine langhaarige Frau im schwarzen Anzug zum Informationsschalter des Flughafens.
„Sloane! Oh, Gott sei Dank!“
Als sie das weinende kleine Mädchen sah, brach sie vor Erleichterung fast zusammen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie das kleine Mädchen fest umarmte und es nicht mehr loslassen wollte.
Für sie war dieses kleine Mädchen ihr Ein und Alles.
Vor fünf Jahren, kurz nach ihrer Hochzeit, erfuhr sie, dass sie schwanger war, doch der Vater ihres Kindes verschwand plötzlich. Ihre Mutter erzählte ihr, dass ihr Mann ihren Vater um fünfhunderttausend Dollar gebeten hatte und dann gegangen war.
Damals war sie so untröstlich, dass sie einen Selbstmordversuch unternahm, aber beim Gedanken an ihr Baby aufgab.
Sie verbrachte die letzten fünf Jahre in völliger Demütigung. Während ihrer Schwangerschaft beschlagnahmte ihre Familie das erste Unternehmen, das sie von Grund auf aufgebaut hatte. Und all dieser Schmerz und diese Enttäuschung waren auf den Mann zurückzuführen, der sie und ihre Tochter im Stich gelassen hatte.
Sie hasste diesen Mann. Er ging, ohne sich zu verabschieden, und verschwand in Luft, und sie hatte seit fünf Jahren nichts mehr von ihm gehört.
„Mami, ich habe Papa gesehen!“, rief Sloane und blinzelte mit ihren puppenhaften Augen.
Dann schmollte sie und sah aus, als würde sie gleich wieder anfangen zu weinen. „Aber Papa will mich nicht mehr!“
Als die langhaarige Frau die Worte ihrer kleinen Tochter hörte, erschauerte sie. Sie fühlte sich, als hätte sie gerade der Blitz getroffen.